Ulla Nolden

über Ihren Wildblumen-Wiesen-Zauber

(German Version)

Könnten Gärten Testfelder sein, wo wir unser Verhältnis zur Natur und zueinander überdenken?
— Ulla Nolden

Mit dieser Frage beschäftigt sich Ulla Nolden, als Künstlerin, Designerin und Gärtnerin.

In ihrem Projekt BISWEILEN geht sie dieser Frage durch aufmerksame Beobachtungen nach. Sie beschreibt in feinsinnigen Essays ihre eigenen Erfahrungen beim Gärtnern, ihre Gedanken über einflussreiche und bedeutsame Gärten, die sie besucht hat und porträtiert Menschen mit Pflanzen. 

2017 hat sie mitten in Düsseldorf einen Garten erworben, der 45 Jahre mehr oder wenig ignoriert wurde. Diesen hat sie in eine zauberhafte Wildblumenwiese verwandelt, eine Oase der Artenvielfalt. 


Wie bist du auf die Idee gekommen deinen Garten, der mitten in der Stadt liegt und durch seine Ummauerung schon eine gewisse Magie entfaltet, in eine Wildblumenwiese zu verwandeln?

Diese Magie hatte der Garten wirklich sofort für mich. Ich war mir aber auch gleich der Verantwortung bewußt, die ich als Gartenbesitzerin für das gesamte Ökosystem in meinem Garten und für Insekten, Vögel und andere Tiere der Umgebung habe. Für mich ist der Garten vor allem ein extrem wertvolles Stückchen Natur zwischen all den Gebäuden. Ich habe mich also gefragt, wie ich das bestehende Ökosystem stärken und die Bedingungen für noch mehr Artenvielfalt schaffen kann. Ich habe dann gleich an eine Blumenwiese gedacht, vielleicht weil der Garten ja schon eine Wiese war, wenn auch eine ohne Blumen. Ich wußte aber auch damals schon, dass Wildblumenwiesen zu den artenreichsten Lebensräumen gehören.  

Außerdem habe ich zu der Zeit mal wieder Great Dixter besucht. Dort haben sie sehr schöne und vor allem sehr artenreiche Blumenwiesen. Da habe ich gedacht, »das mache ich« und habe angefangen, Informationen zu suchen.


Hattest du noch andere Gärten oder Idealbilder im Kopf? Woher hast du die Informationen genommen um dein Projekt zu starten?

Eine Informationsquelle war das Buch ‘Meadows at Great Dixter and Beyond’ von Christopher Lloyd in der neuen Fassung mit einem Vorwort von Fergus Garrett. Natürlich habe ich auch das Internet durchforstet und ich habe eine Freundin gefragt, die Umweltbiologin ist.

Ein genaues Vorbild gab es eigentlich nicht. Zuerst hatte ich aber die Idee, die Vielfalt entlang der Ränder einer nahegelegenen Landstraße als Vorbild zu nehmen. Ich habe dort Samen gesammelt, mich aber nicht getraut, sie zu sähen. Meine Freundin, die Umweltbiologin, machte mich auf eine Firma (rieger-hofmann.de) aufmerksam, die regionale Samenmischungen anbietet. Man gibt seine Postleitzahl an und bekommt eine auf diese Region abgestimmte Samenmischung. Es gibt ja überall sehr spezialisierte Insekten, die auf ganz bestimmte regionale Pflanzen angewiesen sind. Das hat für mich total Sinn gemacht. Ich habe dort bestellt und die anderen Samen lieber weggeschmissen.

Du hast sie weggeschmissen? 

Ja, ich habe mich nicht getraut sie zu säen. Ich befürchtete, das eine invasive Art dabei sein könnte. Ich wußte bei der Hälfte ja gar nicht genau, was das war. Das Resultat war im Grunde eine konventionelle Herangehensweise, wo man nicht einfach irgendetwas von irgendwo hernimmt, sondern sich das erst mal schön im Laden kauft. Das habe ich später revidiert. Aber erst dachte ich: es mußte alles »proper« sein.

Es ist ja auch eine Erfahrungssache. 
Später  hast du aber doch noch wilde Samen benutzt, oder?

Ich habe im Jahr danach nochmal neue Samen gesammelt. und im Herbst nachgesät. Das habe ich 2021 noch einmal gemacht. Ich habe mich das getraut, da ich mittlerweile mehr Ahnung hatte, welche Pflanze welche ist. Das lag vor allem daran, dass ich zwischenzeitlich die Ausbildung gemacht hatte (Anm: der theoretische Teil der englischen Gärtnerausbildung RHS Level 2). 

Darüber hinaus habe ich mir die Pflanzen aber auch immer wieder genau angeschaut, die Blüten und die zugehörigen Blätter. So lernt man langsam, die Pflanzen zu bestimmen.

Das mit den invasiven Pflanzen, ist meines Erachtens in dem Zusammenhang auch ein wenig übertrieben. Es gibt zwei, drei bei denen man wirklich aufpassen muss, z.Bsp. der Staudenknöterich (Fallopia japonica) oder der Riesen-Bärenklau. Den Riesen-Bärenklau finde ich übrigens immer mal wieder bei mir im Garten. Die Pflanzen wachsen bei meinen Nachbarn. Das ist eigentlich eine super schöne Pflanze, riesig groß.

Ist das die Pflanze, von der man Verbrennungen bekommen kann?

Genau. Als meine Freundin im ersten Sommer in meinen Garten kam und sagte: »Du hast Riesen-Bärenklau« war ich total überrascht. Der Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) sieht dem Wiesen-Bärenklau (Heracleum sphondylium), dem freundlichen, heimischen, ziemlich ähnlich, wenn es noch ein kleines Pflänzchen ist. Dann sind die wirklich schwer auseinander zu halten. Wenn man allerdings zu lange wartet, kriegt man diese Pfahlwurzeln nicht mehr raus und der Riesen-Bärenklau produziert um die 20.000 Samen.

Ich will damit nur sagen, es gibt schon Pflanzen, bei denen man aufpassen muss. Und in bestimmten Situationen kann es tatsächlich sein, dass Pflanzen invasiv sind, weil sie heimische Arten verdrängen, aber das macht bei mir z.Bsp. das Efeu auch. Wenn ich das nicht im Zaum halte, habe ich nur noch Efeu. Aber bei den meisten Pflanzen ist es nicht so, dass man sie nicht mehr los wird, man rupft sie einfach raus. Es ist ja nicht so, als sei das ein Wildtier, das einen angreift. Man empfindet solche Pflanzen schnell als super bedrohlich, obwohl es eigentlich nicht so schlimm ist. Man muss eben ein Auge darauf haben. 

Das sehe ich überhaupt als meine Aufgabe als Gärtnerin, zu schauen, ob eine Pflanzenart zu stark wird. Dann schreite ich ein. Es ist ja kein wirklich eigenständiges Ökosystem mehr so ein Garten. Viele regulierende Faktoren fehlen und die muss ich als Gärtnerin ausgleichen. 

Das ist dann dein – wie man im Deutschen sagt – »Pflegeaufwand«?

Der Pflegeaufwand (lacht), ja, total deutsches Wort.

Es klingt nach einer Pflicht, die man absolvieren muss, aber eigentlich ist der »Pflegeaufwand« ja das Gärtnern, als genau das was man in einem Garten sucht, was die Freude daran ist.

Das Wort ist bestimmt eine Erfindung deutscher Stadtverwaltungen. Ich kann das auch verstehen. Es macht dort Sinn, wo man z.Bsp. den Druck der Personalkosten hat. Für mich ist das natürlich anders, je mehr Gärtnern desto besser! 

Aber ich bemühe mich auch immer, mich zurückzuhalten. Meines Erachtens intervenieren viele Gärtner zu viel.

Ich bekomme manchmal Anfragen, um beim Anlegen oder Pflegen einer Wildblumenwiese zu beraten. Letztens war ich bei Leuten, die eine erst vor kurzem angelegte aber schon wunderbar vielfältige Wiese hatten. Die waren ganz verunsichert, weil sie dachten, dass sie mehr eingreifen müssen. Ich habe gesagt, »einfach mal lassen, abwarten, schauen und sich freuen«. Das ist ein großer Anteil meiner Herangehensweise. Es dauert eine Weile, bis sich etwas entwickelt und wenn man ständig »sauber« macht, ist das nicht sinnvoll.

Kannst du einen kurzen Abriss über den Prozess des Anlegen deiner Wildblumenwiese geben? Am Anfang hast du das alte Gras Entfernt.

Ich hatte mir angelesen, dass man den Boden so weit es geht abmagern soll, ihm die Nährstoffe entziehen. Je nährstoffärmer der Boden, desto größer die Artenvielfalt. Dafür gibt es verschiedene Methoden. Den Mutterboden, also die fruchtbare Schicht Erde mitsamt der dichten Grasnarbe abzutragen ist die radikalste, aber auch die am schnellsten Erfolg versprechende. Also quasi »neu machen«, eben die »propere« Herangehensweise. Dazu hatte ich mich entschieden: Samen kaufen und neu machen.

Ich habe also mit der Hilfe von zwei Freunden das gesamte Grass abgetragen. Es war eine wahnsinnige Arbeit, ich kann es nicht empfehlen. Irgendwie fühlte es sich dann falsch an, viel von der krümeligen, guten Erde wegzunehmen. Deswegen habe ich sie drauf gelassen, was leider ein Fehler war. Ich hätte viel radikaler sein sollen, am besten noch Sand dazu kippen oder was jetzt populär ist, gemahlenen Beton, um den Boden weiter abzumagern. Das habe ich aber nicht gemacht. Ich dachte, der Boden ist ja eh mager, denn ein paar Zentimeter unter der Oberfläche besteht er nur aus Kriegsschutt. Mittlerweile habe ich verstanden, dass das noch keinen besonders nährstoffarmen Boden macht.

Was ich dann gesät habe, ist gut gekeimt. Im ersten Jahr darf man allerdings visuell nicht so viel erwarten. Es ist eben eine Staudenwiese. Es gibt ja den grundlegenden Unterschied zwischen einer wirklich klassischen Wildblumenwiese, die mehrjährig ist, am besten hunderte von Jahren alt und dem, was oft in Baumärkten und Discountern an der Kasse als ‘Wildblumenwiese’ angeboten wird. Das ist oft nur eine Mischung aus einjährigen Kornkräutern und Ackerkräutern, wie Klatschmohn und Kornblumen, also ein komplett anderes Konzept.

Im ersten Jahr war meine Wiese daher nicht so überwältigend, aber es sah trotzdem nett aus. Es gab schon eine deutliche Vielfalt bei den Blättern und hier und da Blümchen.

Im zweiten Jahr war es dann der Wahnsinn. Ich war total begeistert und überrascht, dass die Wiese so hoch geworden ist. Das lag daran, das so viele wilden Möhren gekeimt waren. Die wilde Möhre bildet sehr hohe Blütenstände mit weißen Dolden. Es war wirklich beeindruckend und trotzdem dachte ich, »das ist ja nur wilde Möhre, das kann nicht richtig sein«. Man weiß ja nicht wirklich, was man erwarten kann, wie eine Wildblumenwiese aussehen kann. Ich dachte, es muß mehr aussehen wie im Bilderbuch. Da war es gut, dass meine Freundin kam und mich auf die Vielfalt in meiner Wiese aufmerksam machte.

Foto Ⓒ Ulla Nolden

Das habe ich mir auch aufgeschrieben, dass sie als Umweltbiologin viel mehr sehen und wertschätzen konnte, zu einem Zeitpunkt, an dem du noch Zweifel hattest, ob du zur Artenvielfalt beigetragen hast.

Das zeigt, wie viel das Ganze mit einem »Sehen-lernen« zu tun hat. Hast du das Gefühl, dass sich dein eigenes Sehen verändert hat?

Ja, extrem. Mittlerweile sehe ich fast genauso viel. Ich war letztens bei Freunden in Frankreich, in deren neuem Landhaus. Sie fragten mich, wie sie aus dem großen Rasen eine Wildblumenwiese machen könnten. Ich habe gesagt: »Ihr müsst nur aufhören zu mähen und alles ist gut.« Der ‘Rasen’ bestand nämlich schon zu einem großen Teil aus Wildblumen. Das hatten sie aber komplett übersehen.

Es ist ja übrigens erwiesen, dass es eine Pflanzenblindheit gibt. Man sieht Pflanzen gar nicht, weil man sie nicht kennt. Wenn ich zum Beispiel mal nicht zuhause bin und meine Nachbarn bitte, mir Fotos von meiner Blumenwiese zu schicken, kommen da lustige Sachen zurück. Da wird klar, die sehen nicht, was die Blumenwiese ist, weil sie eben nicht so aussieht wie in einem Bilderbuch. Drei Iris – die natürlich nicht Teil der Blumenwiese waren – davon habe ich dann Fotos bekommen.

Das Erkennen hat auch viel mit dem Namen zu tun. Sobald man diesen gelernt hat, erkennt man die Pflanzen wieder. Das Ganze ist ein Prozess, bei dem sich eine bestimmte Wahrnehmung, eine veränderte Wahrnehmung herausbildet.

Das finde ich sehr interessant. Es ist genau dieser Wandel der Ästhetik, den wir brauchen. Ich arbeite gerade an einer Fotoserie, die genau in die Richtung geht (zu sehen auf Instagram unter @ullanolden; das BISWEILEN Projekt findet sich unter @bisweilen_). Unter dem Titel  ‘Unintentional Gardens’ (‘Unbeabsichtigte Gärten’) fotografiere ich städtisches Unkraut und zwar genauso, wie ich Pflanzen in einem glamourösen Garten fotografiere. Und plötzlich sieht man, wie schön diese Pflanzen eigentlich sind.

Es ist eine Art, Pflanzen und Natur anders wahrzunehmen und dadurch auch sich selbst im Verhältnis zu den Pflanzen anders wahrzunehmen. Ich halte es für wichtig, dass sich eine Form von Respekt ausbildet, dass man nicht mit Gewalt eine Ästhetik durchsetzt, nur weil man die so gelernt hat.

Ich habe das Gefühl, das es Menschen leichter fällt, wenn sie einen Nutzen in der Pflanze sehen. Wenn man sagt, den Spitzwegerich kann man auf Wunden legen oder essen", fällt es den Leuten, einfacher die Pflanze abzuspeichern. Deswegen sind die Einsteiger pflanzen oft Tomaten und Chili, die kann man essen .
Aber wenn es abstrakter wird fällt es den Menschen vielleicht schwieriger die Pflanzen zu sehen.

Ich glaube, dass das mit dem »essen können« etwas Deutsches ist. Vielleicht anders formuliert, nicht unbedingt nur deutsch, aber doch un-englisch. Mir ist letztens der Gedanke gekommen, dass es vielleicht daran liegt, weil wir in Deutschland eine ganz andere Geschichte und damit eine andere Gartentradition haben als in Großbritannien. Wir haben nicht diese Jahrhunderte von Frieden im Land gehabt. Andauernd kamen brandschatzende Armeen durch, was für die Gärten natürlich nicht so gut war. Außerdem habe wir nicht diese stabile Gesellschaftsstruktur gehabt wie die Briten.

Das hat natürlich Vorteile, aber in Bezug auf den Garten heißt es, dass wir nicht diese Art von Vorbildern hatten wie die Engländer. Wir hatten keine Gesellschaftsschicht, die sich nur mit dem Schönen beschäftigen konnte, zumindest nicht dauerhaft. Ich denke, dass das dazu geführt hat, dass es in England viel selbstverständlicher ist, sich nur aus ästhetischer Sicht an Pflanzen zu erfreuen. Und das gilt heutzutage für Menschen jeder Herkunft. In Deutschland ist das eher so, dass noch was Praktisches dabei sein muss sonst fühlt sich das schnell zu frivol an. 


Und dass es nicht zu viel Arbeit macht.

Genau. Aber das gibt es in England auch. 

Amüsiert hat mich in dem Zusammenhang deine Beschreibung vom Versuch in Deutschland ein »turf-lifting« Werkzeug zum Abnehmen der Grasnarbe zu kaufen, dass dir die Mutter deines englischen Partners zum Gras heben empfohlen hat.

Es ist ein gutes Beispiel für den unterschiedlichen Stellenwert, den das Gärtnern im Leben der Menschen hat. Das Gärtnern ist in England Teil des Leben, durch alle Schichten hindurch und in Deutschland gibt es bestimmte Werkzeuge noch nicht einmal.

Das ist auf jeden Fall so. Ich denke, dass grundsätzlich der Wissenstand höher ist. Die Leute kennen viel mehr Pflanzen. Man sieht das schon in einer ganz normalen Straße an den Vorgärten. Gärtnern hat einen unglaublich hohen gesellschaftliche Stellenwert. Ich sage immer, dass die RHS (Royal Horticultural Society, also die königliche Gartengesellschaft), in England so mächtig ist wie in Deutschland der ADAC.

Aber ich denke, dass sich das alles wandelt, es gibt auch in Deutschland ein extremes Interesse an Gärten, vor allem daran etwas für die Natur zu tun. Ich habe den Eindruck, in der Hinsicht sind die Deutschen den Engländern voraus. Meines Erachtens hat die Ökologie in Deutschland mehr Gewicht. In England steht eher die Ästhetik im Vordergrund. Ich bin sehr gespannt, wie es sich weiter entwickeln wird.

Werkzeug zum Heben der Grasnarbe

Noch einmal zurück zu deiner Wiese. Hast du Lieblinge unter deinen Wildblumen?

Daucus carota, die wilde Möhre, war mir bis zum Anlegen dieser Wiese nicht wirklich bekannt. Ich wußte zwar so grob, dass die Möhre eine zweijährig Pflanze ist. Aber wann sieht man schon eine blühende Möhre? Das ist ja eigentlich das, was man nicht haben will. Daucus carota hat viele kleine, weiße Blüten und in der Mitte ist eine dunkelrote, damit es für die Insekten so aussieht, als würde dort schon ein Insekt sitzen. Gesellschaft macht ja jeden Ort attraktiver. Im Sommer gibt es viele weiße Doldenblüter, die ähnlich aussehen, aber an dem simulierten Insekt kann man die Möhre gut erkennen. 

Dann muß ich natürlich auch den Kleinen Klappertopf (Rhinanthus minor) erwähnen. Der ist sehr, sehr wichtig für jede Wiese. Das scheint in Deutschland nicht so richtig bekannt zu sein. Bei mehreren der Leute, die ich beraten habe, ist mir aufgefallen, dass sie den Kleinen Klappertopf nicht kannten. Kennst du ihn?

In einer Reportage über den Jardin Plume in der Normandie wurde erwähnt, dass sie eine Pflanze in den hohen Gräsern haben, die diese im Zaum halten. Ich kannte den Namen allerdings nicht, den habe ich bei dir gelernt.

Der Kleine Klappertopf ist halbparasitär, d.h. er macht zwar auch seine eigene Photosynthese, schwächt aber Gräser indem er Energie von ihnen abzieht. Gras ist sehr stark. Es setzt sich in unseren Breiten gegen viele Pflanzen durch. Deshalb ist der Kleine Klappertopf so wichtig für die Artenvielfalt. Allerdings braucht der Samen Winterkälte um zu keimen. Als ich die Wiese im April gesät habe, war klar, das er nicht keimen würde. Wenn ich daran gedacht hätte, hätte ich den Samen vielleicht eine Weile in den Kühlschrank legen können, das habe ich aber nicht gemacht. Im Herbst habe ich mir daher nochmal Samen nachgekauft. 

Der Kleine Klappertopf  ist eine einjährige Pflanze und man muß immer schauen, dass die sich auch selbst aussähen kann. Deswegen sind Löcher in der Vegetationsdecke so wichtig. Auf beweideten Wiesen sorgen die Tiere mit ihren Hufen dafür, im Garten muß man das selbst machen.

Aber um auf deine Frage zu zurückzukommen, ich habe eigentlich keine Lieblingsblumen in meiner Wiese, Je mehr unterschiedliche, desto besser!

Wilde Möhre (Daucus carota), Foto Ⓒ Ulla Nolden


Werden viele andere Pflanzen durch Vögel oder den Wind eingetragen?

Bestimmt. Ich weiß manchmal nicht, ob eine Pflanze in meiner Samenmischung war oder eingetragen wurde. Ich habe zwar eine Liste der eingesäten Samen, aber es kann ja sein, dass manche nicht gekeimt sind und die gleiche Art stattdessen ohne mein Dazutun eintraf. Aber generell freue ich mich über alles, was da kommt.

Viele von den Pflanzen in meiner Wiese gelten ja gemeinhin als Unkraut. Meine Politik dabei ist: alles was wachsen kann, ist willkommen. 

Ich möchte nur nicht, dass irgendetwas dauerhaft die Wiese beherrscht. Deswegen ziehe ich das Efeu raus und achte darauf, dass die Brombeeren sich nicht ausbreiten. Im Nachbargarten steht ein Bergahorn, der versamt sich unglaublich. Letztes Jahr habe ich pro Quadratmeter ungelogen zehn davon rausgezogen. Wenn man das nicht macht, hat man irgendwann einen Wald.


Ich glaube fest, dass das Gärtnern, die Pflege oder das sich Kümmern um Pflanzen, einen Menschen verändern kann, Dass es einem hilft mit den Hochs und Tiefs des Lebens generell besser umzugehen. Gerade wenn man die Zyklen der Natur erlebt, durchlebt und miterlebt. Dass es in einem selbst etwas verändert, Trost spenden kann oder eine Hilfe, eine Verbundenheit in einem erwachsen lässt.

Würdest du dem zustimmen?
Hast du das Gefühl, dass dein Garten Experiment etwas in dir, auch außerhalb des Gartens, in Bezug zur Außenwelt verändert hat?

Auf jeden Fall. Es gibt ja wissenschaftliche Untersuchungen, dass Menschen ein grundsätzliches Bedürfnis nach Kontakt zu Pflanzen haben – Biophilie - dass es uns psychisch gut tut, etwas wachsen zu sehen und Pflanzen mit allen Sinnen zu erleben.

Ein Grund, mein BISWEILEN Projekt zu starten war, dass mir Pflanzen durch eine persönliche Krise geholfen haben. Zwischen Pflanzen zu sein fand ich immer schon sehr heilsam, und empfinde es immer noch so. Das erstreckt sich bei mir nicht nur auf den Garten. Bevor ich einen Garten hatte, habe ich mich mit meinen Zimmerpflanzen beschäftigt oder ich bin ins Gartencenter gegangen und habe mir einfach Pflanzen angeguckt.

Auf den Rest des Lebens wirkt sich Gärtnern meines Erachtens subtil aber bedeutsam aus. Man braucht einen bestimmten Respekt Pflanzen gegenüber, denn man hat eine große Macht über sie und jeder Gärtner weiß, wie schnell Pflanzen eingehen können. Ich glaube, dass man, wenn man sich mit Pflanzen und ihren Bedürfnissen beschäftigt, diesen Aspekt von ‘care’ und Respekt auch auf den Rest der Welt abstrahiert. Ich finde, das ist etwas, was unsere Welt braucht, – dass man einfach netter zueinander ist. Das klingt ein bisschen esoterisch, so ist es aber nicht gemeint. Und das mit dem ‘nett sein’ gilt natürlich auch Pflanzen gegenüber. Ohne Pflanzen können wir nicht leben. Das ist etwas, was wir sehr oft vergessen.


Vielen Dank für das Interview!

Alle Fotos Ⓒ Ulla Nolden.


Links

Ulla Nolden erzählt auf ihrer Webseite bisweilen.de in drei Essays die ganze Geschichte von ihrer magischen Wildblumenwiese. Vom ersten Moment, als sie den Garten gesehen hat, über alle die Arbeitsschritte und Zweifel, die ihren Prozess begleitet haben, bis zum Jahr der ersten Explosion an Artenvielfalt. 

Teil 1: Wie ich meinen eigenen Garten fand

Teil 2: Der Versuch, Vielfalt zu schaffen

Teil 3: Wildblumen-Wiesen-Zauber

Über ihre Sammlertätigkeit an den Straßenrändern und was aus den Samen wurde, kann man in ihrem Essay »Worthless Seeds« in dem Magazin The Young Propagators Society, Issue 8. April 2022 lesen.

Außerdem kann man auf ihrer Webseite bisweilen.de weitere feinsinnige und wunderschön geschriebene Essays über ihre Gedanken und Beobachtungen zu unserem Verhältnis zu Pflanzen und der Umwelt lesen.

Ganz besonders bereichernd waren für mich ihre klugen Beobachtungen, die sie in ihrem Essay »Pflege einer Vision« über eine Gartenreise durch Japan anstellt. 

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